This Weeks True-Crime: Wo ist meine Hose?
Es ist Donnerstag, der 12. Dezember. 12.13 Uhr, Update No. 17
Manche Dozierenden in der Uni machen sich das Dozieren leicht, indem sie das Dozieren einfach den zu Dozierenden überlassen und es dann nicht dozieren, sondern referieren nennen. Deshalb traf es sich, dass ich ein Referat halten musste, das sich um True Crime drehte. Den Boulevard für Besserverdienende, wie Margarete Stokowski im Spiegel schrieb. Und da ich weder besserverdienend noch ein so guter Autor bin, dass ich einen Spannungsbogen innerhalb der kommenden fünftausend Zeichen aufbauen könnte, werde ich es jetzt trotzdem versuchen. Denn immerhin für Boulevard bin ich zu haben:
Es begann an einem unscheinbaren Dienstag, nebelbehangener Himmel, einstellige Gradzahlen, als wir den Store des Unternehmens besuchten, von dem ich mehrere Hosen besitze. Spätestens an dieser Stelle würde Sabine Rückert von einer Wahnsinnsgeschichte sprechen. Der Grund, weshalb ich in den Laden ging, ist nämlich, dass ich sehr, sehr kurze Beine habe. Was sich an zwei Situationen in meinem Leben bemerkbar macht. Erstens, wenn ich neben jemandem herlaufe und mich aktiv beschweren muss, ob die Person bitte einen Schritt langsamer laufen könne, weil ich nicht hinterherkomme. Zweitens, wenn ich Hosen in meiner Größe kaufe, die zu lang sind und abgenäht werden müssen. (Sind sie zu lang, bist du zu kurz - kleiner Gag am Rande). Dieser Umstand sollte noch zu einigen Problemen führen, die bis heute Einfluss auf mein Leben haben.
Nachdem meine Begleitung und ich uns am Eingang des Ladens angemeldet hatten und ankündigten, wir seien etwas zu früh für unseren Termin, wurden wir gebeten, einen Moment zu warten. Wir schauten uns etwas um, taten so, als wüssten wir, was wir hier tun und ich bat nach zweimaligem Insistieren des Verkäufers um einen doppelten Espresso, “ja, schwarz bitte, kein Zucker”, solle ja niemand von mir denken, mein Magen würde keinen schwarzen Kaffee vertragen. Naja, eigentlich sagte ich, “I’ll take a double espresso, black please, without any sugar”, denn der Verkäufer sprach kein deutsch. Das hat zwar für die Geschichte fast keinen Einfluss, dennoch möchte ich klarstellen, dass ich meine Änderungswünsche auch in englisch äußern kann. Abiturzeugnis, Englisch: B2-Niveau.
Wir warteten also, bis der Verkäufer mich bat, meine Hosen, die abgesteckt werden sollen, bitte einmal anzuziehen. Während ich das tat und ihm anschließend erklärte, was ich denke, was genau zu tun sei, wurde meine Begleitung von einem anderen Verkäufer - nennen wir ihn Jannik (Name nur eventuell von der Redaktion geändert) - worauf er denn jetzt warte. Daraufhin sagte meine Begleitung, er warte auf einen Freund, der sich gerade umziehe und immer noch auf seinen doppelten Espresso warte. Merke: Ein bunter Schal und ein langer Ledermantel mit fehlendem Knopf werden vom Verkäufer beim Herrenausstatter nicht gewürdigt.
Da nun auch noch ein Problem bei meinem Sakko auftrat, das der englischsprachige Verkäufer nicht lösen konnte, wurde der Verkäufer namens Jannik zu der Besprechung hinzugerufen. Der zeigte sich etwas irritiert ob des schlecht sitzenden Anzugs und schlich nach der Beantwortung seiner Frage, ob das Sakko denn nicht Custom-Made sei, mit “Nein“ immer weiter zurück und entzog sich damit meinen bohrenden Fragen. Gleichzeitig legte er seinen Zeigefinger ans Kinn und setzte seine Stirn in Falten. Man konnte seine Gedanken förmlich hören: “Selbst schuld wer nicht Custom-Made kauft”, aus seinem Mund kam aber ein “Da haben wir leider keinen Handlungsspielraum, Cord ist so, ist dir halt zu klein, fehlen zwei bis drei Zentimeter”.
Dass er und ich uns am folgenden Tag aber in Taufkirchen, einem Vorort von München, im Dachstuhl der örtlichen VHS mit rund sechzig anderen Personen einen Vortrag anhören und uns wieder sehen sollten, ahnte er zu dem Zeitpunkt seines abschätzigen Blickes noch nicht. Und, dass wegen einer geringen Verspätung von meiner Begleitung und mir nur noch zwei nebeneinander liegende Plätze neben ihm und seiner Begleitung frei waren, hätte er wohl auch nicht gedacht. Da saßen wir also eng nebeneinander, Schulter an Schulter, vierzehn Kilometer vor München, der unfreundlichste Verkäufer Süddeutschlands und ich, der netteste Kunde Norddeutschlands. Na immerhin reichte es für ein nettes “Oh, hallo”.
Aber zurück zum Laden: Auch bei der letzten Hose, die geändert werden sollte, musste ich die entscheidenden Hinweise geben, dass bitte beide Hosenbeine separat abgesteckt werden sollen, da meine Beine unterschiedlich kurz seien. Der Verkäufer, der zwar sehr höflich, nett und engagiert war, lagerte seine Aufgaben einfach an mich aus - “That’s a good idea”. Hätte nur noch gefehlt, dass er mir das iPad gibt und ich mir selbst zwölf Euro von meiner Karte abziehe. Meine Hose könnte ich in einer Stunde abholen, oder auch morgen, oder wann immer es mir passe. Dass ich sie in dem Moment das letzte Mal sah, wussten wir beide nicht. Hätte ich ihr länger hinterhergeschaut, als sie nach vorne zum Schneider gebracht wurde? Hätte ich mich nochmal bei ihr bedankt? Ihr gesagt, sie sei schöner, schöner als alle anderen Hosen, die ich habe?
Am nächsten Tag lief ich also nichtsahnend in den Laden, wurde wieder gefragt, ob ich etwas trinken wolle. Ich verneinte, da ich noch nichts gegessen hatte, und nachdem man eh schon so lange auf sein Getränk warten muss, wollte ich nicht auch noch nach einem Croissant fragen. Ich würde wohl jetzt noch dort sitzen und warten. Stattdessen saß ich rum, telefonierte mit einer Freundin, beschwerte mich bei ihr, dass ich jetzt schon so lange warten müsse, ich wolle doch nur meine Hose abholen und sie nicht mal anprobieren. Nach mehr als zwanzig Minuten kam der Verkäufer und meinte, sie hätten unfortunately a little problem, cause they couldn’t find my trousers, if I mind coming in tomorrow?, was ich bejahte, weil ich endgültig keine Lust mehr hatte, in diesem Laden zu warten oder zu verhungern.
Einige Tage später ging ich also zum dritten Mal hinein, um von einem anderen engagierten Verkäufer bedient zu werden, der sich auf die Suche nach meiner Hose begab, um mir dann mitzuteilen, dass auch er sie leider nicht finden könne, sie sei verschwunden, ja, er frage sich auch, wie das passieren konnte, jaja, wenn er das wüsste, er gebe alles dafür, dass er diese Hose für mich finde. Anschließend probierte ich zwei ähnliche, aber nicht annähernd schöne Hosen an, um ihm mitzuteilen, die verlorene sei meine Lieblingshose gewesen, die wäre halt besonders - eine richtige Hose fürs Leben. Er verstehe das, es müsse bestimmt super unzufriedenstellend sein, dass sie jetzt weg sei, er versuche jetzt, sie aus Chicago oder Moskau zu besorgen, da seien noch ein paar auf Lager. Leider sei sie ein altes Modell und nicht mehr so leicht zu bekommen. Helfe das alles nicht, machen wir sie Custom-Made, das dauere aber zwei bis drei Wochen.
Wenn ich nichts dagegen hätte, solle ich doch jetzt noch bitte mein iPhone an sein iPhone halten, dann könnten wir unsere Nummern tauschen. Er würde sich dann bei mir melden, wenn er die Hose habe. Falls ich, Bastian, irgendwelche Fragen haben sollte, solle ich nicht zögern und mich bei ihm melden.
Vorname, Augenkontakt, Handschlag – der Herr hat im Verkaufsseminar aufgepasst.
Meine Hose ist seit letzter Woche Dienstag verschwunden. Bisher gehört habe ich: nichts. Sie glauben, diese Geschichte ist wahr? Leider ja.
Ich halte euch auf dem Laufenden.
Es grüßt Sie herzlichst
Ihr Bastian B. Bieker