Das Internet-Café ist noch gar nicht tot
Eine steile These, ich weiß. Allerdings tarne ich hier geschickt meine Wochenbeschreibung als polarisierenden Meinungsbeitrag. Es ist Freitag, der 24. Januar 2025, 9.35 Uhr.
Vorweg muss ich sagen, dass ich eigentlich nicht alt genug bin, um zu wissen, was ein Internet-Café ist. Beziehungsweise schon zu wissen, was es ist, aber nicht, wie oder wann man es besucht. Vielleicht liegt es auch nicht an meinem Alter, sondern daran, dass meine Eltern entschieden haben, auf dem Dorf zu wohnen und es dort keins gab oder, dass man auf dem Dorf lange kein Internet brauchte. Hauptsache, der Kombi fuhr und die drei Kinder passten hinten rein. Andererseits beschleicht mich gerade das Gefühl, dass Internet-Cafés vielleicht gar nicht so ein Ding waren, wie ich zu Beginn des Textes glaubte. Kommen wir zu meiner Erklärung der Eingangsthese:
Wenn man nämlich in die Bibliothek geht, um zu lernen, macht man erst mal sehr vieles, außer zu lernen. Man macht den Laptop auf, checkt im besten Fall Nachrichtenseiten – SPON, ZON, FAZ.NET, vielleicht in einem schwachen Moment auch mal Bild.de (morgens lieber ein paar knackige, moralisch fragwürdige Bilder statt lange Texte), liest mal hier was, und mal dort was, schaut seine Mails, surft mal ein bisschen, verliert sich beim Online-Shopping, packt seinen virtuellen Einkaufskorb so voll, dass die Summe größer als dreistellig ist, um ihn anschließend wehmütig zu schließen (Ach, irgendwie war das jetzt schon Arbeit, diese ganzen Produkte zu kuratieren) und dann öffnet man entweder sein Postfach, um Mails zu lesen und zu beantworten, oder macht Termine bei diversen Ärzten, um dann zum Abschluss WhatsApp Web zu öffnen. Dort schreibt man seinen Freunden, die meistens eh in Sichtweite oder direkt neben einem sitzen, um zu fragen, wie weit sie denn selbst in der Zwischenzeit jetzt gekommen seien. Das wiederum in der Hoffnung, dass sie Ähnliches in der vergangenen Zeit gemacht haben (also nichts Inhaltliches) und anschließend gemeinsam die Uhrzeit des Lunchs abzustimmen. Dann wird tatsächlich ein paar Minuten gelernt, bis die Mittagspause irgendwie doch um mindestens fünfzehn Minuten vorgezogen wird, weil “lass mal los, habe doch schon voll Hunger”.
Während der Mittagspause gibt es dann auch einen festen Ablauf. Man muss sich zwischen den anderen Studierenden hindurch quetschen, um möglichst schnell an die möglichst guten Sachen zu kommen, die allerdings leicht und lecker sein müssen. Denn Münchens Universitäten glauben an das Prinzip der Wiege-Mensa. Es muss alles nach Gewicht bezahlt werden. Wobei Gerichte mit Sauce teuer sind und Dinge, die in irgendwas getränkt sind oder schwimmen, noch teurer – es gilt also, herauszufinden, wo das perfekte Gewicht-Preis-Verhältnis ist. Beim Thema Selbst-Scan-Kasse setzt die Uni nämlich aufs Prinzip sehr strenge kleine Frauen. Diese haben ihre sechs Scanner sehr genau im Blick und schauen mit Argusaugen, ob man alles richtig macht. Dann wird sich an die Fensterfront gesetzt, an der es – oh Wunder – ebenfalls zieht wie in der Bibliothek.
Nach der Mittagspause muss erst noch der Kaffee getrunken werden – dolce far niente –, um dann an den Schreibtisch mit dem unbequemen Stuhl zurückzukehren. Letztens haben wir gescherzt, der Wind beim Lernen sorge dafür, dass man nicht einschlafe; man könne ihn sich vorstellen wie einen Fahrtwind. Es wird das eigene Mittagstief zelebriert, sich gestreckt und die Zeit erst am Smartphone und dann wieder am Laptop mit Instagram, TikTok, etc. vergeudet. Bis man sich irgendwann wieder für ein paar Minuten ans Lernen begibt. Die Bibliothek wird dann verlassen, wenn die erste Lernerin “Let’s call it a Day” sagt. Spätestens, wenn die Sonne anfängt unterzugehen, geht aber auch der Motivierteste. Und dank dieser sehr detailgetreuen Nacherzählung wird hoffentlich deutlich, was ich mit dem Internet-Café meine: Man geht in die Bibliothek, um zu lernen, macht aber stattdessen eine Million Dinge am Laptop, die man früher gemacht hätte, wenn man sich einen Computerplatz gemietet hätte, und heute wohl zwischen Einkaufen im Penny und dem Gang zum Sport erledigt.
Wenn man Internet-Cafés in München googelt, kommen elf Vorschläge für Cafés mit WLAN. Es war also nie weg, es sieht nur anders aus. Vielleicht machen die Besitzer von damals heute einfach mehr Geld mit dem Verkaufen von Matcha-Latte und Rüblikuchen, statt mit dem Vermieten ihrer Computerplätze.
Es grüßt Sie herzlichst
Ihr Bastian B. Bieker